Zum Jahreswechsel 2022/23 gibt es in Europa viele Themen – dabei stehen der Ukraine-Krieg und die dadurch verursachte Energiekrise im Vordergrund. Aber auch handfeste Skandale wie „Katargate“- die Katar- und Marokko-Korruptionsaffäre um die griechische Vizepräsidentin des Parlaments Kaili und ihre italienischen Hintermänner – erschüttern den Glauben an eine standfeste europäische Gemeinschaft. Die mangelnde Einigungsfähigkeit in der Bewältigung der Energiekrise tut ein Übriges.
Dabei gäbe es zum Jahreswechsel triftigen Grund zum Feiern: Der europäische Binnenmarkt besteht seit dem 1. Januar 1993 und ist die wesentliche Grundlage für die Einigkeit und Wohlstandsentwicklung in Europa. Der europäische Binnenmarkt besteht aus den 27 EU-Mitgliedsstaaten zuzüglich der Länder Norwegen, Island, Lichtenstein und der Schweiz, die durch das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vom 2.05.1992 zum Binnenmarkt gehören. Die Säulen des Binnenmarktes sind die vier Grundfreiheiten Europas: Freier Handel von Waren und Dienstleistungen, freier Kapitalverkehr und Freizügigkeit von Arbeitskräften.
Dieser Wirtschaftsraum umfasst rund 500 Mio. Menschen; der Vergleich mit China und USA ist wie folgt:
Einwohner Mio. | Bruttoinlandsprodukt Bill.-$ | BIP/Kopf $ | |
USA | 333 | 23,0 | 69.000 |
Europa | 500 | 17,1 | 35.000 |
China | 1.413 | 17,7 | 13.000 |
Schaut man auf die Bedeutung für die einzelnen Mitgliedsländer, so bilanzieren die führenden Staaten weit über 60% Importe aus den anderen EU-Staaten (Deutschland rund 64%, Frankreich rund 66%). Die Bertelsmann-Stiftung hat vor Jahren ermittelt, dass Deutschland pro Einwohner und Jahr einen Einkommenszuwachs von rund 1.050 EUR durch den Binnenmarkt erzielt. Begünstigt sind wegen der leistungsstarken Exportwirtschaft insbesondere die Regionen Bayern und Baden-Württemberg, während die Vorteile in Ostdeutschland deutlich geringer sind. Multipliziert ergibt der wirtschaftliche Vorteil einen Jahresbetrag von rund 90 Milliarden EUR.
Umgekehrt muss man natürlich fragen, wieviel Deutschland in das System Europa hineinsteckt. Der deutsche Finanzierungsbeitrag zum EU-Haushalt ist im Jahr 2021 auf den Rekordwert von netto 25,1 Milliarden EUR gestiegen (laut DPA).
Die zukünftige Bedeutung des Binnenmarktes wird insbesondere darin liegen, wen die großen Wettbewerber China und USA als Verhandlungspartner in geopolitischen und wirtschaftlichen Fragen ansehen. Eine einzelne Volkswirtschaft hat sicher nicht die Kraft, sich gegenüber diesen globalen Playern in bilateralen Verhandlungen durchzusetzen. Erkennbar ist, dass diese Wettbewerber mit Macht versuchen, ihre eigenen (Binnen-)märkte zu stärken. Während Trump mit seiner MAGA- bzw. Buy-American-Politik keinen wirklichen Erfolg erringen konnte, bedroht das von Biden nach der Covid-Pandemie aufgelegte Investitionsprogramm von 400 Milliarden Dollar mit einseitigen Bevorzugungen amerikanischer Unternehmen die Exportfähigkeit Europas. Die chinesische Wirtschaft wird die nächsten Jahre damit beschäftigt sein, die Verluste und Nachteile einer verfehlten Corona-Politik auszugleichen.
Nur am Rande sei erwähnt, dass ein Ausscheiden aus dem europäischen Binnenmarkt einer Volkswirtschaft erheblichen Schaden zufügen kann; auf das BREXIT-Desaster wird verwiesen! Allein dieses Beispiel sollte ein ausreichendes Argument sein, die die Gemeinschaft störenden Staaten in Osteuropa (Polen, Ungarn) von der außerordentlichen Kraft und Bedeutung Europas zu überzeugen.
Gleichzeitig sollte man sagen, dass eine übereilte Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft und des Binnenmarktes keine Vorteile, sondern nur mehr Probleme (im Osten und Südosten Europas) bringen wird. Stattdessen sollte man sich darauf konzentrieren, den Kapitalverkehr sowie den Finanz- und Dienstleistungsbereich weiter zu harmonisieren. An diesen schwierigen Aufgaben wird kontinuierlich gearbeitet. Es seien hier folgende Vorhaben aus den letzten Wochen erwähnt: Die Gehälter-Transparenzrichtlinie (umzusetzen ab 2031), die EU-Richtlinie für Cybersicherheit sowie die Mindestbesteuerung für große Unternehmen: Internationale Firmen mit mehr als 750 Millionen EUR Umsatz in Europa sollen unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15% Steuern zahlen. Die Richtlinie soll bis Ende 2023 in nationales Recht übertragen werden.
Volkswirtschaftlich steckt hinter dem Konzept des Binnenmarktes eine angebotsorientierte Politik mit dem Ziel, bessere Standortbedingungen für Unternehmen zu schaffen. Deutschland und auch Frankreich liegen nach dem ZEW-Ranking hier weit abgeschlagen auf den Plätzen 18 und 17. Die Überwindung der Nachfrage induzierenden, keynessianischen Politik der Öffentlichen Hand sollte ein Beispiel gegen die Verteileritis der aktuellen deutschen Regierung sein. Mit Doppel-Wumms und Sonder(-Schulden)-Vermögen wird per se kein Wohlstand geschaffen!